Leseprobe »Alle lieben Alexia«
Turturro
Sieben Jahre habe ich um die Frau aller Frauen gekämpft, erst als stiller Bewunderer im Hintergrund, dann als zurückhaltender Bekannter, schließlich als Freund und Vertrauter, der sie in Restaurants oder ins Kino oder auf Spaziergänge begleitete, als geduldiger Zuhörer, dem sie ihre Einsamkeit und ihre Ängste und die intimsten Geheimnisse anvertraute, bis sie sich nach dieser qualvollen, entbehrungsreichen Zeit endlich von ihrem Metallbauschlosser trennte und zu haben war und der Weg frei schien für mich. Natürlich näherte ich mich ihr nicht sofort, sie brauchte Zeit, um sich von der Trennung zu erholen und wieder zu sich selbst zu finden, sie brauchte Ruhe, vor allem Ruhe, und so ließ ich drei, vier Monate verstreichen, bevor ich tat, was ich tun musste.
Nach einem lauen Sommerabend – wir waren in der Trattoria »Da Sergio« essen gegangen und hatten uns bestens amüsiert, waren durch die nächtliche Stadt geschlendert und schließlich zu ihr nach Hause spaziert – lud sie mich kurz vor Mitternacht auf einen kleinen Umtrunk in ihre Wohnung ein, was sie bisher nie getan hatte, und ich wusste, dass die Zeit, in der die Zeit fast nicht vergehen wollte, nun beinahe vergangen war.
Als Alexia gegen eins müde wurde und durchblicken ließ, dass sie langsam zu Bett gehen musste, gingen wir in den Vorgarten hinaus, wo ich sie zum Abschied küssen wollte, wie sich Liebende zu küssen pflegen, sanft und zärtlich auf den Mund, doch ihre Reaktion war alles andere als die, die ich erwartet hatte, sie war erstarrt, dann hatte sie mich verärgert zurückgestoßen, wie man ein lästiges Insekt verscheucht. Sie hatte eine Affäre mit einem anderen, einem unausstehlichen Kerl, wie mir mein Freund, der im Orchester Querflöte spielt, später, gegen zwei eröffnete, einem Opernsänger, den sie anscheinend geschminkt hatte. Aber das hätte ich nicht zu wissen brauchen, Alexia stieß mich von sich weg, und in diesem Augenblick wusste ich, was ich wissen musste, wusste, dass es sich nicht lohnte, den Schmerz auf mich zu nehmen, der nun auf mich wartete. Zugegeben, nie war ich ein dramatischer Mensch gewesen, nach außen hin stets zurückhaltend und unscheinbar, nur im Innersten hitzig und heißblütig, und deshalb schoss ich mir noch in derselben Nacht, genau an der Stelle, wo mich Alexia zurückgewiesen hatte, eine Kugel in den Kopf.
Daraufhin verging einige Zeit, in der ich mich daran gewöhnen musste, jetzt noch mehr Zeit zu haben und für immer oder doch sehr lange warten zu müssen, und schließlich verwandelte ich mich in ein Gespenst, nicht um mir diese Wartezeit zu verkürzen, sondern weil mir das, was geschehen war, als schreiendes Unrecht erschien, und wir Toten nicht zur Ruhe kommen, solange ein solches Unrecht unseren Frieden stört. So bin ich ein Gespenst geworden, und weil es wahr ist, dass Gespenster ihre Gestalt frei wählen können, habe ich als Gestalt die meine vor sieben Jahren gewählt, als ich noch der stille Bewunderer im Hintergrund war, meine Blicke treu und voller Liebe. Es würde Alexia am meisten treffen, dachte ich, wenn ich ihr auf diese Weise erschiene, gewiss hätte ich auch als Metallbauschlosser oder Eisverkäufer oder Howard Carpendale erscheinen können, aber ich beschränkte mich auf mich selbst, als meine Liebe noch jung und rein war, ich beschränkte mich auch bei den Orten, an denen ich erschien, auf einige wenige: auf die Stelle, wo Alexia mich zurückgwiesen hatte, sowie auf die paar Hotelzimmer, in denen mein Rivale abstieg und schlief.