Stimmen zu »Doktor Turban«

Verschiedene

»I am impressed by the Doktor Turban stories.« John Coetzee

»Sprachlust, die Leselust weckt.« Neue Zürcher Zeitung

»Geschichten, die unter die Haut gehen.« Badische Zeitung

»Da ist endlich wieder einmal einer, der einem Text Poesie, Geruch, Geschmack verleihen, der packende und kultivierte Prosa schreiben kann und dem vielerlei Stilmittel zu Gebote stehen.« Oberbadisches Volksblatt

»In seinem preisgekrönten Erzählband finden wir nahezu alle Muster modernen Erzählens seit Thomas Mann.«
Basler Zeitung

Laudatio von Andreas Isenschmid zum Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg, zugleich Rezension in der Weltwoche, April 1997

Aus dem Gleichgewicht

Daniel Zahno: »Doktor Turban« – Ein welt- und sprachverliebter Maskenball, in dem am Schluss der Tod anklopft.

Einer sucht das Glück und findet Nuggets. Sprachnuggets. «Vitalradio» sagt er zum Beispiel, als er in einer Liebesnacht am Rücken seiner Freundin liegt und versucht, ihren und seinen Herzschlag zu hören. «Um uns jenes Dunkel, welches nichts verhüllt», sagt er, als er sie anschaut. Und als er weiter schaut, sagt er: «Ich sah Deinen Geruch.» Er kann auch sagen: «Wie die Kühe standen die Kühe da.» Als er das Glück findet, sagt er: «Wer kennt sie nicht, diese Orte, wo wir ewig verweilen könnten, wo wir, wenn wir könnten, zeit fressen möchten, um die innere Uhr auf unendlich zu stellen.» Angesichts des Unglücks sagt er: «Hirnfinsternis».
Das sind Formulierungen, über die wir uns auch freuen würden, wenn sie nicht in einem Erstling stünden, sondern im Werk eines gestandenen Autors. Aber sie stehen in einem Erstling. Einem Schweizer Erstling. Im Erzählband «Doktor Turban» von Daniel Zahno. Wer aber ist Daniel Zahno?
Daniel Zahno ist Basler, vierunddreissigjährig, und ein Mann, der zunächst Pech hatte. Sein erstes Buch erschien nicht bei Diogenes, Arche oder Suhrkamp wie die Erstlinge von Capus, Huonder oder Cavelty. Es erschien noch nicht einmal, wie es sich gehört, in Zürich, bei Ammann oder Rotpunkt. Es erschien, und zwar noch im letzten Jahr, in Basel bei Bruckner & Thünker. Nach seinem Erscheinen geriet der Verlag in kleinere Turbulenzen. So dass, statt der Aufregung, die neuerdings jeden Erstling begleitet, zunächst einmal gar nichts geschah. Es gab einige kleinere Kritiken, ein bisschen Häme, wie üblich, von einer Frau Dieckmann, der Rest war Schweigen, auch in der «Weltwoche».
Aber die Welt hört zum Glück nicht an der Schweizer Grenze auf. Zuerst bekam Zahno einen kleineren Preis in Tübingen. In dieser Woche hatte der Pechvogel grösseres Glück. Er erhielt den mit 20000 Mark dotierten Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg. Grund genug, auf Zahnos Erzählband zurückzukommen.
Wohin gerät man, wenn man Zahnos neun Geschichten liest? In die Schweiz? Oder in die Flucht aus der Schweiz? Und in welche Sprache fasst Zahno seine Welt? In den zielgerichteten rhythmischen Tritt eines Silvio Huonder? Oder die verspielte Allüre eines Gion Matthias Cavelty? Es gehört zum Überraschenden an Zahnos Debüt, dass es diese Fragen ins Leere laufen lässt. Es gibt keine Zahno-Welt. Und keine Zahno-Sprache. Es gibt neun Zahno-Welten. Und neun Zahno-Sprachen.
In der Erzählung «Tuscheln» sind wir in einer undefinierbaren Stadt mit einem Taxifahrer unterwegs, einem «verlorenen Sohn», der früh gelernt hat, sich «zu verachten»: «Noch heute kommt es vor, dass man mich bei Gesprächen einfach überhört und nicht beachtet, ja dass ich mich selbst einfach überhöre und nicht beachte.» Doch dieses Mal beachtet er sich. Und ihm wird zugehört. Er fährt durch die Stadt und erzählt einer Frau im Fond von einer «Nacht, die ich nicht vergessen kann». Es war die Nacht, als er als Kind einem Tuscheln folgte und seinen Vater, einen Metzger, auf der Schlachtbank bei etwas überraschte, das wie «würgen», «schlagen», «töten» aussah, aber nur ein Seitensprung mit der Haushälterin war. Worauf der Vater sein Kind so bodenlos demütigte, dass es zu jenem verlorenen Wesen wurde, das der Erwachsene noch ist.
Die Spannung, die die Bekenntnisse des Taxifahrers erzeugen, hat natürlich damit zu tun, dass der Leser für die Dauer der Erzählung auf dem Platz der schweigenden Frau im Fond sitzt. Aber den wirklichen Grund der Spannung verrät uns Zahno nicht – und am Ende erschliesst man ihn doch: Die Frau, mit deren Ohren wir Leser zuhören, ist die Halbschwester des Erzählers, die Frucht jenes Seitensprungs.
Zu dieser Erzählung, in der ein Verlorener in gefassten Sätzen gleichsam zum ersten Mal «ich» sagt, hat Zahno ein Gegenstück geschrieben, die Erzählung «Cool Man», in der einer in abgehacktesten Satzfragmenten von sich erzählt, ohne je «ich» zu sagen. Die drei, vier Stellen, an denen ein nebensächliches Zufalls-Ich in den Text gerutscht ist, hätte ein cleverer Lektor streichen müssen. Der Witz dieses Stückes ist, dass es aus lauter ichfreien Infinitvsätzen besteht: «Die Sache mit sich abmachen. Sich nochmals fragen, ob. Ja sagen. Action. Gute Stimmung zulassen. Vielleicht jemanden anrufen?» So geht das, monoton und abwechslungsreich zugleich; das Protokoll einer ans Stakkato der Sekunden verlorenen, subjektfreien Oberflächenexistenz; und eine Geschichte, die nicht bloss behauptet, sondern ihre Sache ganz in Form, in Stil, in Spracheinfall verwandelt hat.
Und noch einmal nimmt unsere Überraschung zu, als sich auch zu diesem Stück ein Gegenstück findet, die Erzählung «Doktor Turban», in der Zahno nach dem abgehackten syntaktischen Technosound sein inneres Metronom auf den guten alten Thomas-Mann-Takt eingestellt hat, mit seinen verwickelten, schwingenden Phrasen und seinem gestelzten Humor. Auch dies nicht ohne Grund. Denn wir sind auf dem Zauberberg. Erzählt wird die Geschichte eines Davoser Lungenarztes, der sich nach einem Streit mit einem «nicht unbekannten Schriftsteller» das Leben nimmt.
Setzen wir hinzu, dass es neben all dem auch noch ein Stück im Kleist-Ton gibt und neben diesen Stoffen noch die Geschichte einer Jugendschizophrenie und (riskant, aber im übersetzten Schmerzton am Ende doch missglückt) die Erinnerungsqual einer Friseuse mit der Zeit, als sie im KZ als Hure missbraucht wurde, dann taucht wohl allmählich die Frage auf, wer denn dieser Zahno mit seinen vielen Stimmen und Stoffen eigentlich sei?
Ein begabter Stimmenimitator gewiss. Ein Jungschriftsteller (seltsames Wort!), der ganz virtuos alle Register seiner Stilorgel erprobt, ja. Aber ist das nicht ein seltsam oberflächliches Maskenspiel? Verbirgt sich hinter den vielen Masken auch so etwas wie Einheit und Tiefe?
Auf diese Fragen kann geantwortet werden. Erstens: Kunst ist Fälschung, Täuschung, schöne Lüge, und sie soll es sein. Und es wäre noch schöner, das einem Autor vorzuwerfen, der, Gott sei Dank, gleich von Anfang an kraftvoll erfindet, statt bloss sein eigenes Leben fiktional zu überhauchen.
Zweitens; Ja, Zahno übertriebt es mit dem Kostüm- und Maskenwesen. Er hat mehr Sprache als die meisten, und er geniesst diese Gabe so sehr, dass er daneben das Uhrmacherhandwerk sorgsam ausgeklügelter Plots vernachlässigt. Seine Stories fangen straff an, doch fast alle enden zu offen und einige ärgerlich vage. Kaum eine geht wirklich präzis an den Druckpunkt.
Das macht die Antwort auf die dritte Frage etwas schwierig. Aber es gibt sie, die Einheit hinter diesen Geschichten. Dass sie alle von einer etwas dunklen Spannung leben, ist bereits ein Stück dieser Einheit. Im übrigen klopft in allen (ausser der letzten) der Tod an. In allen haben wir es mit Menschen zu tun, deren Gleichgewicht gestört ist, deren Welt in Stücke geht und die dabei, oft buchstäblich, stolpern und straucheln. Und in vielen gibt es eine Gegenbewegung zum Tod, zur Fühllosigkeit und zum Zerbrechen der Welt. Manche von Zahnos Helden sind nicht nur todesnah, sie sind auch weltverliebt. Und immer wieder suchen sie, wie ihr sprachverliebter Autor, nach einem Wort, das die ganze Welt oder wenigstens «das ganze Emmental» enthält, nach «einem ganz einfachen Satz, welche alles, auch die Ewigkeit ausdrücke», oder sie sprechen «gleichzeitig in allen Sprachen der Welt». Wie verschieden sie auch sind, das scheint ihre und ihres Autors gemeinsame Obsession zu sein. Man darf gespannt sein, so sagt man doch und meint’s hier auch, wo diesen Autor seine Obsessionen noch hintreiben.

Charles Cornu im «Bund», 27. April 1996

Ein subtiler Verwandlunsgkünstler

Daniel Zahnos Erstling «Doktor Turban» bei Bruckner & Thünker

Neun Erzählungen offeriert uns der 1963 in Basel geborene Daniel Zahno in seinem ersten Buch zur Lektüre. Das bedeutet in diesem Fall: Nicht nur neun verschiedenen bemerkenswerten Geschichten und Ereignissen begegnen wir, sondern in auffallender Qualität auch neun ganz unterschiedlichen Ausdrucksweisen, Tönungen, Perspektiven. Zahno (der Germanistik und Anglistik studiert hat) ist ein stilistischer Verwandlungskünstler. Dann und wann verfällt er deswegen der Verlockung, sein Können etwas selbstzweckhaft zu demonstrieren, aber öfter noch vermag er die sprachliche Orchestrierung dem Inhalt sinnvoll unterzuordnen, so dass dieser nicht nur in der richtigen Art zur Geltung kommt, sondern der Leser auch entsprechend stark und nachhaltig berührt wird. Es gibt Texte, in denen Zahno sich ein anderes Ich anverwandelt; in eigentlicher Rollenprosa bringt er da die Not oder die Tragik eines Schicksals unmittelbar – scheinbar ungefiltert, in Tat und Wahrheit aber wohlüberlegt – zum Ausdruck. Das gilt zum Beispiel für die Erzählung «Tuscheln», den verzweiflungsvollen Bericht eines jungen Mannes, der von seinem Vater, einem Metzgermeister – «weissgeschürzt und pflichtbewusst und arbeitsam und ernst und dunkel und dick und stark und stolz und stämmig und gross und breit» –, erdrückt worden ist. Noch deutlicher und bewegender zeigt es sich in «Mein Herr»: Da schreit eine Frau zigeunerischer Herkunft die Leiden und Erniedrigungen heraus, die sie in Nazi-Deutschland erduldet hat und nie mehr losgeworden ist.

Andere Geschichten weisen Elemente des Parodierens auf, beispielsweise der Text «Doktor Turban», der dem ganzen Buch den Titel gegeben hat. Dieser Doktor Turban, ein selber vom Kranksein regierter Mensch, eröffnet in Davos die erste geschlossene Hochgebirgsanstalt für Tuberkulosekranke und führt dort ein strenges Regime der «educatio morbi» ein. Sicher ist es nicht Zufall, dass in diesem Prosastück der Ton einer wortreichen, ironiedurchwirkten Erhabenheit vorherrscht – Thomas Mann lächelt, wohlwollend vermutlich, von seinem Zauberberg herab. Oder in «Napf», einem Text, der sich gekonnt zwischen Liebesgeschichte und Albtraum-Humoreske bewegt, jongliert Zahno souverän mit Wörtern und Klängen aus der Sprachwelt des Emmentals, wogegen er in «Cool Man» einen jungen Mann in subjektlosen Staccato-Sätzen übers einen der Kinofiktion entliehenen Alltag bramarbasieren lässt. Mehrheitlich herrscht indessen Ernsthaftigkeit vor, eine, die sich sogar ins Leidenschaftliche, Emphatische steigern kann. Am schönsten dies einem in «Yerushalayim», einem Prosagesang auf Jerusalem, entgegen.
Daniel Zahno beweist mit diesen Geschichten, dass er über Phantasie, Einfühlungsvermögen und ein reiches sprachliches Instrumentarium verfügt. Treten früher oder später die grosse, die tragende Idee und der nötige lange Atem hinzu, dann dürfte für diesen Autor auch ein umfangreicheres erzählerisches Werk von Qualität in Reichweite liegen.

Martin Halter in der FAZ, 9. Juli 1997

Gruseln auf der Aussenhaut

Manchmal erotisch: Daniel Zahnos Erzähldebüt «Doktor Turban»

Der Zauberberg ist kein Freizeitpark, sondern eine Davoser Lungenheilanstalt, in der Doktor Turban, eine unerbittliche Spuck- und Hustendisziplin als Damm gegen «tiefländische Dummheit» und «epidermales Gruseln» – vulgo Gänsehaut – errichtet hat. Der Grossschriftsteller, der, erst durch Widerworte, endlich durch sein Verschwinden, das strenge ärztliche Regiment untergräbt, ist möglicherweise kein Geringerer als Thomas Mann. Jedenfalls schreibt Daniel Zahno in der Titelgeschichte seines Erzählbandes so: Er baut mit der «Patina der guten alten Zeit», gravitätischer Würde und behäbig verschnörkelten Sätzen einen allmächtigen Erzähler auf, nur um seine Allwissenheit ironisch zu unterlaufen.

«Doktor Turban» ist nur eine der vielen Masken, die Zahno in seinem beachtlichen, mit dem Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg ausgezeichneten Debüt ausprobiert. Mal fingiert er im Geiste Borges’ apokryphe Texte und ausserordentliche Erfindungen; dann wieder beschreibt er, ganz im Stile des Stumpenschmauchers Hermann Burger, «das anhaltende Verrauchen des Geistes» beim wahnwitzigen Versuch des «Ausserordentlichen», eine vollkommene Engelssprache zu entwerfen. Mit sichtlicher Lust an solchen Sprach- und Denkexperimenten entwirft der vierunddreissigjährige Basler Gegenwelten und Geheimsprachen. Es tut der Magie der Namen keinen Abbruch, wenn es schweizerdeutscher Dialekt ist, und es verschlägt in metaphysischer Hinsicht wenig, wenn in «Gelb» ein philosophisch gebildeter Mittelstürmer auf die Bäume flüchtet und sich von dort aus Kants Ding als Birnentorte in allen Variationen vorstellt.
«Cephalo» dagegen ist wie ein Stück von Stanislaw Lem: Ein Kybernetiker und ein Performance-Künstler führen ein Zwiegespräch über die Ästhetik im Zeitalter von Computern und Techno-Beats. Die These, dass der Roboter der legitime Erbe von Kleists Marionette sei, soll vermutlich epidermales Gruseln hervorrufen: Natürlich ist für Zahno die «umfassende Ausschaltung der Emotion» der Tod jeder literarischen Anmut. Sein gefühlsroher «Cool Man», der sein Leben nur noch in einem Stakkato von Erfahrungsfragmenten und Handlungsanweisungen an sich selbst zu fassen vermag, wird nicht umsonst zum Mörder. Und in «Tuscheln» rechnet ein vegetarisch gewordener Metzgersohn mit dem «Fleischerwesen» im allgemeinen und dem Vater im besonderen ab, der es kaltblütig mit dem Ladenmädchen auf der Schlachtbank trieb.
Nicht alle Erzählungen sind so gelungen. «Mein Herr» zum Beispiel ist die politisch korrekte, mit viel «Gestaposperma» gesäuerte Beichte einer Zigeunerin, die einem KZ-Kommandanten als Lagerhure zur Hand gehen musste und nun, als alternde Friseuse, Schuld und Scham ausgerechnet mit Kamm und Schere aufarbeitet. «Yerushalayim», eine «ernste» Hymne auf Jerusalem, kommt kaum über bemühte Wallfahrerimpressionen hinaus, die unter der Last der Geschichte ächzen. Dennoch ist Zahnos Talent unverkennbar. Die neun Geschichten zeugen von der Geistesgegenwart eines aufmerksamen Beobachters und Sprachkünstlers, dem die verschiedensten Stillagen zu Gebote stehen: hausbackene Basler Leckerli so gut wie barocke Lustspiele, Science-Fiction, Goethes Farbenlehre und neurologische Schädelbasislektionen.
In dieser Wandlungsfähigkeit lauert freilich auch die Gefahr der Beliebigkeit: Die Themen drängen sich Zahno nicht auf; sie strömen ihm zu, und er macht wenig Anstalten, das «Ozeanische» seiner Sprachfluten zu kanalisieren. Vergnügt und manchmal auch nur selbstverliebt badet er in Wortkaskaden, intellektuellen Spekulationen und Nonsens-Binnenreimen. «Weil sie Deine Seele nicht halten konnten», schreibt er etwa anlässlich einer Bergwanderung, bei der zum Abschluss auch mal sensible Hände über Frauenkörper spazieren dürfen, «hielten sie Deine Lenden. Handlände, dachte ich, Seelenlände. Seelenlände? Sanft lendete ich hin und her, landete da und dort, lundete meine Hände ganz fest an Dich, wusste nicht, ob es wahr war oder nur Lind.» Bei so viel Sprachlust wird der Kontrast zwischen Aufwand und Resultat um so schmerzlicher fühlbar. Der hybride Vorsatz, nach all den gelben Birnentorten noch einen ausgewachsenen Berg zu essen, endet denn auch mit bösem Wortdurchfall.